pro-A-kids

Demokratie braucht Bildung!

Projekt: „African Kids“ heißt
unsere Initiative zur Förderung von
Bildungseinrichtungen in Kenia.

Besuch aus Afrika – Gedanken zur Nachhaltigkeit von Entwicklungsprojekten

Kategorie: Reiseberichte - Mrz 9th, 18

Die Schüler der Waldorfschule Wernstein staunten nicht schlecht in der Woche vor Weihnachten, als sie wie gewohnt mittags in die Schulküche kamen und plötzlich eine Afrikanerin an der Essensausgabe entdeckten. Das Staunen wurde bald zu sichtbarem Unbehagen, als sie bemerkten, dass Englisch angesagt war, um etwas auf den Teller zu bekommen. Zum Glück standen noch drei oder vier Schüler vorher in der Reihe, um sich noch schnell eine individuelle Strategie zur Krisenbewältigung  zu überlegen. Manche nahmen allen Mut und alle bekannten Vokabeln zusammen und bewältigen die unbekannte Situation recht souverän. Andere beschränkten sich auf „yes“ und „no“, unterstützt durch international verständliches Nicken und Kopfschütteln.  Und wieder andere hatten zum Schluss doch einen – in Afrika in der Essensausgabe durchaus üblichen – sehr gefüllten Teller, da sie vor Schreck gar nichts herausbrachten und nur hilflos zusahen, wie immer mehr aufgehäuft  wurde.  Der Eimer mit den Essensresten war folglich in dieser Woche etwas voller als sonst.

Wir vom Küchenteam hatten unseren Spaß an der Beobachtung der individuellen Problemlösungsstrategien und an der täglichen Zunahme der Fertigkeiten. Gegen Ende der Woche hatte jeder seine Methode gefunden, um auf Englisch sein Essen zu bestellen.

Aber was hatte eigentlich eine Afrikanerin in der Schulküche zu suchen? Ja, das ist ein langer und etwas verschlungener Weg. Der Anfang liegt im Nebel, vielleicht auch in einem Epochenheft der 7. Klasse, in der die Wernsteiner Klassenlehrerin ihre Schüler über Savannen und Tiere und Menschen in Afrika schreiben und malen ließ und so ein leises Interesse für eine fremde Welt in die Herzen ihrer Schüler legte. Als die Achtklaßarbeit anstand, bauten drei dieser Schülerinnen einen Pizzaofen mit Frau Frohmader – und gingen bald danach an andere Schulen, um dort ihren Schulweg fortzusetzen. Und wieder stand eine Arbeit an – diesmal schon etwas umfangreicher und auch bewusstseinsmäßig durchdrungen: die Zwölftklassarbeit. Eine der Schülerinnen wählte das Thema Entwicklungshilfe – und da bei Waldorfs Herz und Hand zusammengehören, gehört immer auch ein praktischer Anteil zur theoretischen Ausarbeitung. Aber was kann man zum Thema Entwicklungshilfe – die ja mittlerweile durch die Definition Entwicklungspartnerschaft  ersetzt wurde – praktisch machen? Viel nicht, solange man noch in der Schule ist, aber man/fräulein kann sich auf den Weg machen, um sich ein eigenes Bild zu verschaffen. Dies fand vor zehn Jahren im Rahmen eines Kolping-Workcamps statt. Aus dem Hinfahren und Sehen entstand über viele Wege, Nebenwege, Umwege ein eigener Verein – vielleicht haben Sie ihn schon hin und wieder bei unseren Martinimärkten entdeckt. Der Verein mit dem etwas seltsamen Namen „pro-A-kids, Projekt African kids e.V.“ unterstützt eine Vorschuleinrichtung im ländlichen Kenia sowie eine Nachhilfeklasse an der Hauptschule der Kleinstadt Timau. Köchin Evangelina ist der „gute Geist“ des Kindergartens, bekocht  täglich alleine 80 Kinder, kennt alle Kindergartenkinder und Eltern des Dorfes mit Namen und Familiengeschichte und hat auch schon eine ganze Generation von deutsche Praktikanten während ihres Aufenthaltes in Kenia durchgefüttert.

Und weil Entwicklungshilfe eben mittlerweile als Entwicklungspartnerschaft verstanden wird, war es nach zehn Jahren Besuch aus Deutschland endlich einmal Zeit, sich dieses Land und seine Leute selbst anzusehen. Ein ganzes Jahr hat die Antragstellung für das erforderliche Visum gedauert. Auf die Frage der weißen Beamtin, was sie denn eigentlich in Deutschland wollte, hatte Evangelina ihren ganzen Mut zusammengenommen und beherzt geantwortet „I want to learn, how the Germans cook!“. Alle anderen Beamten waren Kenianer, mit denen sie die Landessprache Kiswaheli hätte sprechen können, um das gefürchtete Interview zur Erlangung einer Besuchserlaubnis in Deutschland zu bestehen. Nur Evangelina als einfache Dorfköchin mit wenig Schulbildung hatte das Pech, ausgerechnet eine „Weiße“ zu erwischen, so dass sie Englisch sprechen musste. „But all went well, we understood each other! The lady laughed and told me ´yes, German cooking is very different, you will see!“ Verstehen hat eben mehrere Ebenen, Sprache ist regional unterschiedlich, Menschlichkeit ist international. Noch auf der Busfahrt  von der Hauptstadt Nairobi nachhause erhielt Evangelina eine SMS mit der Nachricht „your Visa is ready“.

Kurz vor Weihnachten in Deutschland angekommen ergab sich dann ein personeller Engpass in unserer Schulküche und Evangelina durfte nicht nur zusehen, sondern wurde richtig gebraucht. Zum Glück hatte Küchenleitungsvertretung Petra selbst Afrikaerfahrung und genug Englischkenntnisse, um die Situation beherzt zu meistern. Und zum Glück hat Evangelina einen deutschen Verein als Arbeitgeber und deshalb ein nagelneues Gesundheitszeugnis im Gepäck für alle Eventualitäten.

Sehr schnell wurde allerdings klar, dass man die Hälfte der deutschen Küche ohne Backofen leider nicht nachmachen kann. Kann man einen Ofen mit einfachen Mitteln selbst bauen? Man kann. Einer davon steht am Gartenbauhaus, 2004 von Schülern gebaut. Kann man den Ofen auch ausprobieren? Gartenbaulehrerin Frau Häusler gibt ihr „okay“ – ja, man kann. So findet sich in der Woche nach Weihnachten die Gruppe der „Ofenbauerinnen“  zu einem Treffen zusammen, sie waren ja sowieso alle auf Heimaturlaub, um gemeinsam mit Evangelina und ihren Freunden und allen anderen, die gerade Zeit und Lust hatten, Pizza zu backen. Und sich Geschichten von früher und heute zu erzählen. Back to the roots.

Nachhaltigkeit von Entwicklungsprojekten hier und dort? Ich denke schon. Aber kann man Nachhaltigkeit erzwingen oder messen? Ich denke, eher nein. Man muss sich auf den Weg machen, auch mal Umwege in Kauf nehmen und auch den Mut aufbringen, den einen oder anderen Weg als Irrweg zu erkennen und umzukehren. Das unterscheidet Bildung vom Prüfungslernen.